Das Leipziger Modell
Hintergrund
Im Rahmen der Leipziger Grassimesse 2012 hat das Projekt „Ü60 – Design für morgen“ stattgefunden. Studenten dreier Designhochschulen aus Halle, Schneeberg und Bozen hatten die Aufgabe Produkte für Ältere zu entwickeln. Das Ergebnis war sehr erfolgreich. Nach Leipzig ist das Projekt auf den Möbelmessen in Köln, München und Mailand vorgestellt worden. Das Interesse war an allen Stationen sehr groß. Aus dieser Erfahrung entwickelte sich die Frage: Was wäre, wenn nicht nur Produkte umgesetzt werden würden, sondern wenn ein ganzes Haus für Ältere als Pilotprojekt entsteht?
Der demografische Wandel stellt uns vor neue Aufgaben. Wie wollen wir wohnen, wenn wir älter werden? Welche Möglichkeiten geben die jetzigen Wohn- und Betreuungsmodelle? Wie kann erreicht werden, dass die Älteren in der Interaktion mit der Gesellschaft und Nachbarschaft verbleiben? Ältere Menschen verbringen 80 % ihrer Zeit zu Hause.
Ziel
Das „Leipziger Modell“ stellt sich als Ziel, in Leipzig ein innovatives Modellprojekt ins Leben zu rufen, das sich intensiv mit den Möglichkeiten des nachhaltigen, zukunftsfähigen Wohnens auf dem Hintergrund des demografischen Wandels auseinandersetzt. Es soll dargestellt werden, dass eine durchdachte Typologie, anspruchsvolle Architektur und ansprechende Gestaltung maßgeblich dazu beitragen können, selbstständiges Wohnen bis ins hohe Alter zu ermöglichen. Das Projekt soll eine Leuchtturmfunktion in Leipzig übernehmen und zum offenen, innovativen Image der Stadt beitragen. Als Grundprinzip sollen die Grundlagen des „design for all“ angewendet werden. Die Gestaltung muss einerseits dazu beitragen, so lange wie möglich selbstständig leben zu können, und andererseits Kontakt und Interaktion mit der Umgebung zu unterstützen und somit der möglichen Vereinsamung vorzubeugen.
Das „Leipziger Modell“ wird in einem typischen Gründerzeithaus in Leipzig entstehen. Im Vordergrund wird ein durchdachtes zeitloses architektonisches Konzept mit ansprechender hochwertiger Einrichtung und Design stehen. Die Unterstützung der sozialen Interaktion basiert einerseits auf einer Durchmischung der Wohntypologien und andererseits auf gezielten Interventionen im gemeinschaftlich genutzten Raum des Hauses, der Freifläche und der unmittelbaren Umgebung. High-Tech und Assistenzsysteme sollen nur reduziert und unterstützend zum Einsatz kommen. In seiner Struktur ist das „Leipziger Modell“ als Mehrgenerationenhaus einzuordnen. Die Hausgröße bewegt sich zwischen 6 und 10 Wohnungen. 70% der Wohnungen stehen für hochbetagte Bewohner zur Verfügung, die weiteren Wohnungen sind für Familien oder Studenten entwickelt und deren Bedürfnissen entsprechend gestaltet. Die geplante Unterstützung der Kommunikation zwischen allen Bewohnern versteht sich als ein wichtiger Beitrag zum Ausbau eines sozialen Netzwerkes.
Das Projekt wird nach folgenden Prinzipien aufgebaut
• Alleine Wohnen ja, einsam sein nein! Mit großer Sorgfalt werden im Haus „nebenbei“ räumliche Situationen für zufällige oder gezielte Begegnung integriert, wie beispielsweise Sitzbänke vor dem Hauseingang, Sitznische auf dem Treppenabsatz, eine gemeinsame Hobby-Werkstatt.
• Jeder Mensch ist anders, auch im Alter! Die Wohnungen werden unterschiedliche Größen haben und so gebaut sein, dass die Innenraumaufteilung zum Teil individuell festgelegt werden kann. Die Einrichtung kann eine Mischung von eigenen, neuen oder angepassten Möbeln sein.
• Noch Extras. Im Haus wird eine Ausstellungsfläche integriert, die als Ideensammlung und Anlaufstelle dient. Diese Räumlichkeiten, die auch als Gästewohnung dienen können, werden immer neu, entsprechend den aktuellen Entwicklungen, Ideen und Produkten gestaltet. Hier werden aktuelle Produkte und Projekte ausgestellt, hier kann ausprobiert und gelebt werden. Informationsmaterialien stehen zur Verfügung, hier wird beraten, hier finden Veranstaltungen statt. Hier entsteht ein Ort vielfältiger Inspirationsquellen für alle Interessierte. Hier soll der aktuelle Stand der Forschung aufbereitet der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.
• Oh die Natur … die gibt es doch! Die Interaktion mit dem umliegenden städtischen Raum soll weiter unterstützt werden Das Leben draußen ist im Alter sehr wichtig. Im Garten werden kleine Schrebergärten und ein Gemeinschaftsgarten für Selbstversorgung, frische Luft und spontane Treffen sorgen.
Presse
Gemeinsam alt sein
“Alten WG Mehrgenerationenhäuser sind konkrete Utopie der alternden Gesellschaft. Wie man solche Konzepte verwirklichen kann, zeigt das „Leipziger Modell. Zwei Architektinnen, die das Projekt initiieren, setzen sich dabei auch mit dem Thema Armut auseinander.“
Verfasser: Heide Reinhäckel
taz 9/10 Mai 2015